Fahrradschloss der Nachkriegszeit

Fahrradschloss 1945


Ohne Hintergrundwissen ließe sich dieses Fahrradschloss kaum als Notprodukt erkennen.

In der Nachkriegszeit gab es den Spruch, 'Das Fahrrad ist das Auto des kleinen Mannes'. 70% der Bevölkerung konnte sich damals kaum vorstellen, jemals ein Auto zu besitzten. Aber auch der Besitz eines Fahrrads war für viele vorerst ein Traum. Und immer, wenn die Not kaum erträglich ist, steigt die Zahl der Personen, in denen der Wunsch nach Besitz stärker ist als jede Tugend. Kurz gesagt, im Nachkriegsdeutschland war Diebstahl ein erhebliches Problem. Das war bezüglich der Fahrräder nicht nur ein finanzielles Problem, denn regulär hätte ein Fahrrad 3-4 Monatsgehälter gekostet, wenn man überhaupt einen Arbeitsplatz hatte, und wenn es Fahrräder zu kaufen gegeben hätte. Das war nicht so. Ja mangels Fahrradersatzteile musste ständig ein Teil der defekten Räder zur Ersatzteilgewinnung demontiert werden, um wenigstens einige Fahraräder gebrauchsfähig zu halten.

Foto 1948 Fahrräder



Das obige Original-Bild von 1948 ist mit folgendem Text beschrieben:
'Das waren 4 Fahrräder, daraus wurden 3, dann 2 - heute geht die Familie 10km weit zum Bahnhof'.

Nun, das erklärt die Notwendigkeit, Fahrräder mit in die Wohnung zu nehmen, und bei Gebrauch niemals unabgeschlossen und unbeaufsichtigt abzustellen. Und es erklärt auch den Umstand, dass seinerzeit Fahrradfahrer den legalen Besitz des Rades jederzeit mit einem 'Fahrradschein' der Behörden nachweisen können mussten.(Fahrradpässe 1945-1950 siehe autoveteranen.de/Fahrrad - Fahrraddokumente)

Um nun aber das Fahrradschloss selbst als Notprodukt der Nachkriegszeit zu erkennen, ist wiederum ein Blick in die Geschichte notwendig. Aber zuerst einmal die Beschreibung des Schlosses.

Das Schloss selbst ist für einen Interessenten der technischen Geschichte direkt als Produkt der 40/45 Jahre erkennbar, jedoch nicht als Notprodukt. Auffällig ist eher das Stahlkabel mit den beiden genieteten Schlaufen. Wenn man sich vorstellt, mit diesem groben Draht sein wertvolles Fahrrad anzuschließen, dann fällt einem direkt ein, dass dadurch der Lack bei jedem Gebrauch zerkratzt würde. So etwas hätte es weder in der Kriegszeit noch nach der Währungsreform gegeben. Die Verarbeitung ist schlicht lieblos und streng zweckmäig auf das Sichern eines Fahrrades ausgerichtet.

Ein Hinweis war für uns allerdings auch der Fundort. Ein Laden in Bad Brückenau, der aufgelöst wurde, und worin sich noch sehr viel Ware der Nachkriegszeit, darunter sofort erkennbare Rüstungskonversionen befanden (alleine viele hundert Becher aus Kanonenhülsen). Da bleibt nur noch die Frage, die Vermutung einer Notfertigung auch zu belegen.

Der Draht erinnerte stark an Hochspannungsleitung, genau gesagt, die Ausführung der Verdrillung der einzelnen Adern zu einem Kabel entspricht der Überlandleitungen mit 35mm². Nur ist Überlandleitung aus Kupferdraht. Im Krieg war Kupfer für die Rüstungsindustrie reserviert, um die dringend benötigten Führungsringe von Artilleriegeschossen zu fertigen. Daher wurden während des Kriegs, wenn überhaupt, Aluminiumleitungen mit Stahlseele gelegt. Aber auch Aluminium war Ressource der Kriegsmaschienerie.
Eisendraht, habe es nie gegeben, erklärte uns eine heutige Elektrizitätsgesellschaft. Man würde noch heute Überlandleitungen aus den 40er Jahren sanieren. Eisendraht sei nie vorgekommen.

Von einem ehemaligen Mitarbeiter einer Elektrizitätsgesellschaft, der noch Unterlagen aus dem 2. Weltkrieg besaß, wurde unsere Vermutung dann allerdings doch bestätigt. In der sogenannten 'Kupferaktion' 1942, in der Standbilder und Kirchturmglocken eingesammelt und eingeschmolzen wurden, sei auch ein Erlass erteilt worden, Überlandleitungen aus Kupfer zu demontieren und durch Eisenkabel zu ersetzen. Das sei allerdings wegen des Aufwandes nur in geringem Maße vollzogen worden. Kriegswichtige Betriebe, die ohnedies mit Erdleitungen versorgt worden wären, sein davon ausgenommen geblieben, denn der Widerstandverlust der Eisenleitungen sei enorm gewesen. Deshalb hätte man diese auch unmittelbar nach dem Krieg wieder durch Kupferleitungen ersetzt.

Und so wurden aus Stücken von 'eisernen Stromkabeln' in der Nachkriegszeit Fahrradschlösser gefertigt und sicher noch einiges mehr.
Wir besitzen noch einen Schneebesen (Eischaumschläger) der aus einem Stück eiserner Überlandleitung besteht, das mit einem Holzgriff versehen wurde und dessen einzelnen Adern vorn aufgefächert wurden.

Foto von zum Einschmelzen vorgesehenen Skulpturen und Kirchenglocken



Foto von Bronzefiguren, die in der 'Kupferaktion' zum Einschmelzen demontiert worden waren und nach dem Krieg noch in einem Hamburger Hüttenbetrieb lagerten. Sie wurden 1948 an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben.

© horst decker